Es gibt Leute, die gehen alles sofort an, auch Dinge, die unangenehm sind. Und es gibt Leute, die sowas lieber vermeiden (auch das, was eigentlich gut für sie ist)… es immer weiter aufschieben, selbst wenn sie schon wissen, dass das die Situation nur noch unbequemer und schwerer macht.
Ich komme definitiv aus der Vermeider-Gruppe.
Ich habe eigentlich immer alles, was mir unangenehm war, so lange aufgeschoben, bis ich mich damit wirklich auseinandersetzen musste.
Vielleicht kommt dir das ja bekannt vor…
Das mit dem Aufschieben war auch damals so, als ich beschlossen hatte, mir Unterstützung zu holen, weil ich jede Nacht vorm Einschlafen Angst hatte, nicht mehr aufzuwachen. Und das war schon ein ziemlich krasses Signal, das ich einfach nicht mehr ignorieren konnte; weil Angst + Nicht-Schlafen = keine gute Kombi.
Im Nachhinein denke ich, hätte ich nur viel früher schon die Zeichen bemerkt, dass etwas nicht stimmt, wie meine ständige Müdigkeit, meine negativen Gedanken und meine Reizbarkeit, meine geringe Stresstoleranz, und dass mein Erschöpfung größer war als tief gefühlte Freude in meinem Leben.
Das ist vielleicht der Höhepunkt meines Vermeidertums gewesen.
Aber all das, hab ich immer weggeschoben bzw. für nicht so wichtig befunden oder mich einfach selber noch zusätzlich dafür nieder gemacht, warum ich so undankbar bin, obwohl ich nach außen hin ja ein gutes Leben habe und körperlich gesund bin…
Ähm ja… heute weiß ich es zum Glück besser, dass es das auch nicht besser macht, sondern dass Akzeptanz und Verständnis für einen selbst viel mehr bewirken können.
Auch vor meinem Vermeider-Höhepunkt habe ich diese Tendenz in vielen kleinen Dingen gezeigt:
Ich habe Telefonanrufe vermieden (fand ich einfach total unangenehm, und habe mich „socially awkward gefühlt“ – ich hab auch oft meine Mutter für Termine anrufen lassen, weil mir das so schwer fiel), später dann das Autofahren (weil ich meinen praktischen Führerschein erst im 3. Anlauf geschafft habe und mich irgendwie immer unsicher gefühlt habe… „zum Glück“ brauchte ich dann in den Städten, in denen ich gewohnt habe, auch nie wirklich eines…), ich habe es lange vermieden, mich auf Männer/Beziehungen wirklich einzulassen (weil ich trotz meiner Sehnsucht danach so viel Angst vor Ablehnung und Mich-verletzlich-Machen hatte), unangenehme Dinge anzusprechen (auch von wegen Angst vor Ablehnung/Konflikten), Grenzen zu setzen (same as before), Bedürfnisse zu äußern usw.
Und ja, ich habe es auch immer hinausgezögert und Gründe gefunden, warum ich mit meiner Kunst (früher), meinem Schreiben oder meiner Arbeit noch nicht soweit war, um mich zu zeigen, um Workshops zu geben usw.
Manchmal mag es tatsächlich so gewesen sein, aber ganz oft ist auch eine Angst mitgeschwungen.
Auch wenn ich heute viel besser im Dinge angehen bin, zögere ich z.B. Telefonanrufe bei „Fremden“ oder Ärzten für Termine immer noch länger hinaus, als nötig… Und meine Steuererklärung sowieso… Was meine Angebote angeht, bin ich etwas besser geworden, aber auch da merke ich manchmal noch, wie ich zögerlicher bin als nötig.
Nach außen sieht mir das vielleicht keiner an, aber die Leute, die mich gut kennen, wissen das.
Und auch du wirst vielleicht nach außen hin anders wahrgenommen, als du dich innen drin manchmal fühlst.
Seit ich mir damals Unterstützung geholt habe und in kleinen Schritten vieles in meinem Leben verändert habe, sind fast 10 Jahre vergangen, damals war ich Anfang 30.
Seitdem is einiges passiert und dafür bin ich unglaublich dankbar, aber bestimmte Tendenzen trage ich immer noch in mir und ich muss mich immer noch und immer wieder zu Dingen überwinden und motivieren, über die andere vielleicht gar nicht nachdenken (dadurch, dass ich aber durch meine Erfahrungen gelernt habe, dass „die Dinge angehen“ unterm Strich besser für mich ist, und dadurch, dass ich heute insgesamt selbstbewusster und entspannter bin als früher, fällt mir das heute leichter als früher).
Falls du also auch eine Person bist, die Dinge, von denen sie weiß, dass sie sie angehen sollte, lieber aufschiebt:
Ich sehe dich. Ich verstehe das.
Und ich verstehe auch, dass diese Aufschieben einem dann oft zusätzlich noch schlechte Gefühle macht.
Darum habe ich vorhin einen Telefonanruf gemacht, den ich auch wieder aufschieben wollte. Und da es für mich mittlerweile hauptsächlich der Akt der Überwindung ist, war es in dem Moment, wo mir wer geantwortet hat, kein bisschen mehr tragisch, sondern im Gegenteil, eine kurze, freundliche Unterhaltung, um zu erledigen, was ich erledigen musste.
Und das feiere ich jetzt.
Genau so lade ich dich ein, zu feiern, wenn du dich zu etwas überwindest, was du normalerweise vielleicht aufschiebst. Und mal zu schauen, wie es sich für dich generell anfühlt, dich überwunden zu haben.
Spürst du auch, wie gut es sich danach anfühlt? Wieviel mehr Raum und Leichtigkeit wieder in dir ist?